Die konstruktive Kraft des Lockdowns – ein Gastbeitrag von Jasmin Mickein #closedoropen

Jasmin Mickein leitet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kunsthalle Bremen 

Der Lockdown war eine Belastungsprobe und mit vielen Unsicherheiten verbunden. Aber die Schließzeit der Museen hat auch Neues hervorgebracht. Durch verschiedene Projekte der Kunsthalle Bremen wird eine konstruktive Kraft des Lockdowns deutlich: Digitale Projekte, die jahrelang in der Schublade lagen, wurden plötzlich realisiert und eine neue Ausstellung wurde geplant.
Die Schließung der Kunsthalle Bremen ging einher mit der geplanten Eröffnung einer neuen Ausstellung. „Norbert Schwontkowski. Some of My Secrets“ (21. März bis 2. August 2020) wurde sehnlichst erwartet von den Bremer*innen und dem Museum selbst. Doch als die Ausstellung fertig aufgebaut war, konnte sie nicht eröffnen. Das war ein komischer Moment. Wie wenn man eine Geburtstagsfeier vorbreitet, Kuchen backt, sich aufbrezelt und dann alleine zu Hause sitzt, in die Stille starrt und mit Partyhütchen auf dem Kopf unmotiviert in eine Tröte bläst. 

In so einer Situation stellt man sich schmerzliche Sinnfragen: Hat Kunst eigentlich noch eine Bedeutung, wenn sie keiner sieht? Wozu dient ein Museum, wenn keiner rein darf? Das Museum von heute will kein stiller, einsamer Ort sein. Es will den Austausch, es will besucht werden und es will, dass man vor der Kunst denkt, lacht, streitet. Denn Kunstwerke, die nicht in den Dialog mit dem Betrachter treten, wirken plötzlich sinn- und leblos. 

Um die Kunst trotz der Schließzeit zugänglich zu machen, entwickelte die Kunsthalle Bremen verschiedene neue Angebote. Man könnte sagen: Endlich waren wir gezwungen, Projekte, die schon lange auf dem To-Do-Stapel lagen, anzugehen! Dazu zählt beispielsweise ein 360-Grad-Rundgang durch die Schwontkowski-Ausstellung. Jahre zuvor hatten wir uns bereits mit dem Thema befasst, aber irgendwie gab es nicht die Dringlichkeit, in solch ein Format zu investieren. Die Clickzahlen belegen nun, dass der Rundgang – vor allem während der Schließzeit – gut angenommen wurde. 

Auch die interaktive Online-Akademie wurde während des Lockdowns umgesetzt. Vor Corona wurden Seminare im Museum abgehalten. Diese waren nun einerseits nicht mehr erlaubt und andererseits gehört ein Großteil der Besucher*innen der kunsthistorischen Seminare der Risikogruppe an. Es war also fraglich, wann und ob solche Seminare wieder möglich sein würden. Entsprechend befassten wir uns nun mit der technischen Umsetzung eines Webinars via Videocall. Seit Mitte Mai 2020 sind wir – soweit wir wissen – das erste Kunstmuseum in Deutschland, das eine interaktive Online-Akademie anbietet! Und die ersten Kurse waren direkt ausgebucht.

Die Corona-Quarantäne brachte auch eine neue, internationale Challenge hervor: #TussenKunstenQuarantaine (zwischen Kunst und Quarantäne) ermutigt Menschen dazu, Kunstwerke zu Hause mit den einfachsten Mitteln nachzustellen. Kurzerhand entschieden wir uns, aus dem

Konzept eine neue Ausstellung zu machen: Wir riefen dazu auf, Werke aus unserer Sammlung nachzustellen und uns die Fotos zuzusenden. Eine Auswahl von 77 eingereichten Fotos stellen wir unter dem Titel „Und jetzt Du! Kunstwerke in Quarantäne nachgestellt“ (8. Juli bis 6. September 2020) aus. Obwohl die Museen geschlossen waren, konnte die Kunst durch diese Aktion in den Alltag integriert und zum Leben erweckt werden. Menschen setzten sich kreativ und intensiv mit Kunstwerken aus der Bremer Sammlung auseinander. Unter anderem deshalb stiegen die Zugriffszahlen auf den Online-Katalog im Vergleich zum Vorjahr um das 6-fache. 

Wir entschuldigen vieles mit „wegen Corona“ – geschlossen, verschoben oder abgesagt. In unserem Fall würde ich aber sagen, tolle und nachhaltige Projekte entstanden „dank Corona“.

Abbildungen:
360-Grad Rundgang durch die Norbert Schwontkowski-Ausstellung, Umsetzung: Marcus Meyer

Online-Akademie der Kunsthalle Bremen mit Dr. Alice Gudera, Foto: Kunsthalle Bremen 
Fotos „zwischen Kunst und Quarantäne“: Diana Spanier (nach Paula Modersohn-Becker), Karl-Holger Meyer (nach Albrecht Dürer), Jette und Jörg Peterschewski (nach Henri de Toulouse-Lautrec)

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