Wortgarten – ein Literaturfest in der Uckermark

Im Norden Brandenburgs, auf dem Dorf in Fürstenwerder, fand vom 2. bis 8. August ein Fest der Literatur und Musik statt. Kennengelernt hatte ich den Wortgarten vor vier Jahren auf Einladung des Schriftstellers Oliver Bottini. Eigentlich sollte das Literaturfest bereits 2017 wieder stattfinden, aber es war schwierig, die Finanzierung zu sichern. Um so mehr freute ich mich, letztes Wochenende nach Fürstenwerder eilen zu können. Ich bin ja kein Literaturkritiker sondern Kunsthistoriker und Museumsberater. Aus diesem Grund nehme ich mir die Freiheit, ganz subjektiv meine Eindrücke von den Lesungen zu schildern.

Bereits die Fahrt aufs Land stimmt auf den Wortgarten ein. Wenn man in den Nordwesten der Uckermark fährt, verlangsamt sich alles: der Blick wird ruhiger, schweift über die Felder und Seen – und einen hohen, weiten Himmel …

Wo der Schotter scheitert…

Eröffnet wurde der Wortgarten in der Atelierscheune der Künstlerin Wiebke Steinmetz. Den Auftakt bildete das Live-Hörspiel „Sommersumme“ von und mit der Schriftstellerin Ines Baumgartl, dem Geräuschemacher und Musiker F.S.Blumm und dem Ensemble Quillo.

Eine Woche hatten sich die Schriftstellerin und die Musiker in Fürstenwerder aufgehalten, sich vom Ort und dessen Geschichte inspirieren lassen. Herausgekommen ist eine Soundcollage über das ehemalige Schotterwerk Fürstenwerder und die damals viel genutzten Eisenbahlinien. Ein Schwerpunkt der Collage aus Lyrik, Prosa und Geräuschen bildete die Schilderung eines schweren Eisenbahnunfalls, der sich 1912 im Bahnhof Fürstenwerder ereignete. Ein Schotterzug fuhr durch Verschulden des Lokführers mit voller Geschwindigkeit in den Bahnhof ein und über den Prellbock hinaus. Dabei wurden der Reservelokführer und der Hilfsschaffner getötet, zwei Personen wurden verletzt. Bereits im Jahr 1913 wurde das Schotterwerk wieder geschlossen und die Anschlussbahn abgebaut. Noch heute gibt es kurioserweise zwei Bahnhöfe in Fürstenwerder aber keine Gleise mehr.


Nach der dramatischen, fiktionalen Reise, konnte man den regionalen Apfelwein im Hof des Atelier in Ruhe genießen. Es herrschte eine familiäre Atmosphäre – Schriftstellerinnen und Schriftsteller im lockeren Gespräch untereinander oder mit Gästen. Das macht in meinen Augen die Stärke dieser Veranstaltung aus. Man kann sowohl die Literatur als auch die Autor*innen kennenlernen!

Auf den Spuren der Geschichten …

Am Samstagmorgen startete man mit einer Wandellesung, d.h. einer Lesung an verschiedenen Orten in Fürstenwerder, am Nachmittag und am Sonntagvormittag ging es auf das Gut Bülowssiege.

Stefanie de Velasco liest am Seeufer in Fürstenwerder.

Besonders beeindruckt hat mich bei dem Spaziergang die Lesung von Stefanie de Velasco (*1978, Oberhausen). Sie trug am Ufer des Sees aus ihrem neuen, im Herbst erscheinenden Roman „Kein Teil der Welt“ (Kiepenheuer& Witsch) vor. Mich faszinierte die Geschichte von Esther, einem Teenager auf dem Weg zum Erwachsenwerden, die mit ihren Eltern kurz nach der Wende vom Rheinland in eine ostdeutsches Dorf umziehen muss. Ihre Eltern sind Zeugen Jehovas, auf Mission in Ostdeutschland. Doch Esther vermisst vor allem ihre Freundin Sulamith und ihr ist die Begeisterung und der Missionswillen der Erwachsenen herzlich egal! De Velasco schildert eine mir unbekannte Welt, eine Welt die mitten in der unsrigen existiert und dennoch kein Teil von ihr ist. Und sie stellt eine junge Frau ins Zentrum, die hinterfragt, die sich nicht abfindet. Der Ausschnitt, den Stefanie de Velasco gekonnt vorträgt, macht augenblicklich Lust auf mehr und ist auf der Wunschliste vorgemerkt.

Lola Randl las als Abschluss des Vormittags im Garten der Heimatstuben aus ihrem Roman „Der große Garten“. Randl, die selber von der Stadt in die Uckemark gezogen ist, beschreibt mit ironischem Unterton die Stadtflucht als „eine Flucht vor sich selbst“. Alles, was zeitgeistig ist, wird von ihr freundlich durch den Kakao gezogen: die Naturliebe, die Bienenzucht und die neue „Achtsamkeit“. Sehr amüsant zu lesen ist auch das Verhältnis der Erzählerin zu ihrem Ehemann, ihrem Liebhaber und ihrem Analytiker in der großen Stadt, dem sie wider Willen immer wieder verfällt. Alles, von den blühenden Garten bis zu den eigenen Fantasien, ist in ihrer Erzählung erfüllt von einer sanften Erotik, die die ländliche Welt in ein warmes Licht taucht, auch wenn das Leben manchmal schwer ist. Darüber hinaus gibt es in den vielen kurzen, gut zu lesenden Kapitel, aber auch nützliche Tipps für die Gartenarbeit -eine interessante Mischung zwischen kurzweiliger Lektüre, grundlegenden Gedanken und praktischer Gartenlust!


Nach einer Mittagspause – und bei Regenwetter – ging es auf dem Gut Bülowssiege weiter. Leider mussten die Lesungen, die eigentlich in dem wunderschönen Garten stattfinden sollten in die Scheune verlegt werden. Hier folgten bis in den Abend Lesung auf Lesung.

Gut Bülowssiege

In „Nachts ist es dunkel in Teheran“ (Kiepenheuer & Witsch 2016) schildert Shida Bazyar den Ort zwischen zwei Heimaten. Sie erzählt von vier Familienmitgliedern, vier Jahrzehnten, gibt der Geschichte vier ganz eigenen Stimmen.

Konzentriert trägt sie uns einen kleinen Ausschnitt vor: Es ist 2009 und Mo, Student, verfolgt aus der Ferne die Umwälzungen im Iran. Das stellt seine deutsche „Normalität“ völlig auf den Kopf! Seine Zerrissenheit zwischen dem Alltag in seiner WG und der eigenen Identitätsfindung schildert Bayzar emphatisch-zugewandt und doch auch ironisch gebrochen.

Besonders beeindruckt hat mich Peter Wawerzineks (*1954, Rostock) Lesung aus dem im September 2019 erscheinenden Roman „Liebestölpel“ (Galiani Verlag). Wir erfahren von einer Kindheit im Heim und der Kindheitsfreundin Lucretia, mit der er seit seinem dritten Lebensjahr fast jede Minute verbrachte. Und über die grundlegende Kraft der Liebe und über den Versuch, mit dieser Sache namens Liebe klar zu kommen. »Die Liebe, ach Junge, besser du lässt die Finger davon«, hatte sein Opa ihn gewarnt, da war er gerade vierzehn. Menschen wie sie könnten da nur Schiffbruch erleiden. Wären sie Vögel, so der Opa weiter, dann würden sie zur Spezies der Trottellummen gehören. Trottellummen seien in der Luft grandiose Segler. Doch beim Landeanflug offenbare sich ihr eigentliches Problem: Da seien sie plötzlich unbeholfen, wirkten fast schon trottelig.‘

Und was für ein Vortag von Peter Wawerzinek – einfach mit- und hinreißend. Da unterstützt er seine Worte durch Gesten und Mimik, da murmelt er, dann wider steigert er sich ins Laute, da singt er seine Worte … Man wird von ihm entführt in die Höhen und Tiefen der Gefühle der Kindheit. Und man möchte, dass seine Lesung einfach weiterginge – für mich der Höhepunkt des diesjährigen Wortgartens!


Lucy Fricke (*1974, Hamburg) setzt einen ironischen Gegenpart. Sie las – wie sie sagte „letztmals“ – aus ihrem Roman „Töchter“ (2018, Rowohlt Verlag).

Trocken, mit britischem Humor und Understatement, schildert sie eine Fahrt von zwei Frauen mit dem todkranken Vater auf der Rückbank. Was sich ernst anhört ist unglaublich witzig. Der Tonfall bleibt einem im Ohr, man will mehr davon. Und bei mir lief sofort eine Kinofilm im Kopf ab. Ganz großes Kino – ein irrer Roadtrip, mehr sei nicht verraten. Am besten gleich lesen!

Nach einem gemeinsamen Abendessen im Freien – es gab Pizza vom Blech und selbst gebackenes Brot und selbstgemachte Brotaufstriche (gegen eine Spende) – endete der Sonnabend mit dem Konzert von “ Erfolg und der beste Damenchor aller Zeiten“.
Beschwingt ging man, voll der Eidrücke, durch die Nacht und freute sich auf die Geschichten am nächsten Tag …


Im Garten der Worte …

Am Sonntag ging es morgens auf Gut Bülowssiege weiter – dann bei strahlendem Sonnenschein im Garten.

Den Auftakt machte Antje Rávik Strubel (*1974, Potsdam) mit einer Lesung aus ihrem Buch „Sturz der Tage in die Nacht“ (S. Fischer Verlag 2011).  Sie entführte uns auf eine schwedische Osterinsel, erzählte von einer Liebesgeschichte zwischen der älteren Ornithologin Inez und dem jüngeren Erik. Auf Bülowssiege beschränkte sich Strubel auf die Beschreibung des Meeres – atmosphärisch dicht. Man schließt die Augen und fühlt sich an die See versetzt. Doch man ahnteLi schon bei der Naturbeschreibung, dass da mehr in der Geschichte verborgen ist. Mehr sei hier nicht verraten, als dass auch die ostdeutsche Geschichte die Protagonisten Einhalt. Am besten – lesen.

Manja Präkels (*1974, Zehdenick/Mark) las aus ihrem Debütroman „Als ich mit Hitler Schnaps- kirschen aß“ (Verbrecher Verlag 2018) und führt uns in die Zeit nach der Wende in Brandenburg.

Da brach in die vermeintliche Idylle des Brandenburger Lesefestes die bittere politische Realität ein. Präkels schildert den Konflikt zwischen Nazis und linken „Zecken“. Angst und Schrecken in Zehdenick anno 1992 werden greifbar und lassen einen – ob der Gegenwart – schaudern.

Für mich war der Wortgarten wieder äußerst anregend. Ich habe viele neue Literatur und Literat*innen kennengelernt. Außerdem finde ich das Zusammenspiel von ländlicher Umgebung mit Geschichten und Gedichten sehr schön. Ich mag das sehr und würde mich freuen, wenn in zwei Jahren wieder ein Wortgarten stattfände!

Ganz herzlichen Dank auch an Mirko Lux für die tollen Fotos und an Jutta Büchter vom KOOK e.V. für die Organisation des Wortgartens und die vielen Infos!




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