Rückblick auf 10 Monate Ausnahmezustand – Ein Erfahrungsbericht aus dem Naturhistorischen Museum Mainz #museumforfuture

Dr. Bernd Herkner leitet das Naturhistorische Museum Mainz. Wissenschaftlich beschäftigt er sich u.a. mit evolutions- und wissenschaftstheoretischen Themen.

Das Naturhistorische Museum Mainz ist zwar das größte Naturkundemuseum von Rheinland-Pfalz, gehört aber überregional betrachtet eher zu den kleineren, regional ausgerichteten Museen. Gewicht erlangt unsere Einrichtung allerdings durch die Angliederung der Landessammlung für Naturkunde Rheinland-Pfalz, die von unserem Haus gepflegt und verwaltet wird. Wie andere naturkundliche Forschungssammlungen stellt sie eine unverzichtbare Forschungsinfrastruktur, insbesondere für die Biodiversitäts- und Klimaforschung, dar. Da unsere Personaldecke gerade im Forschungsbereich dünn ist (nur zwei Wissenschaftlerstellen, davon teilen sich zwei Personen eine), sind wir auf Kooperationen mit entsprechend ausgestatteten Forschungseinrichtungen angewiesen. Unsere Aufgabe besteht also darin, die Sammlung als Forschungsinfrastruktur zu pflegen, zu verwalten und sie vor allem der internationalen Wissenschaft zugänglich zu machen.

In voller Fahrt ausgebremst

Der erste Lockdown im März war für uns besonders bitter, denn wir hatten nach 11 Monaten baulich bedingter Schließung gerade erst unser Museum in neuem Glanze wiedereröffnet. Die Besucherzahlen lagen regelmäßig doppelt so hoch wie in den Vergleichsmonaten vor der Schließung. Die Hoffnungen waren groß. Alles war im Aufbruch. Wer ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass wir bereits nach fünf Monaten wieder schließen müssen? In voller Fahrt ausgebremst zu werden tut weh! Mir persönlich tat es doppelt weh, da ich die Leitung des Naturhistorischen Museums gerade erst übernommen und begonnen hatte Kontakte zu knüpfen und neue Netzwerke aufzubauen. Also auch hinsichtlich meines Bestrebens, unsere Einrichtung sichtbarer zu machen und zu einem Forum für den naturwissenschaftlichen Dialog zu entwickeln, wurden wir in voller Fahrt ausgebremst. Unser Standortvorteil, inmitten der Mainzer Innenstadt zu liegen, war plötzlich nicht mehr gegeben. Geplante Veranstaltungen in unserem Haus, wie der Start der Mainzer Science Week oder eine Vortragsreihe von Scientists for Future, wurden abgesagt. Inzwischen haben die meisten Institutionen Wege gefunden, sich digital zu präsentieren, aber das tun sie nicht mehr bei uns, sondern über ihre eigenen Kanäle. Digital gibt es eben keinen Standortvorteil! Um uns als attraktiven Ort des Diskurses gesellschaftlich relevanter naturwissenschaftlicher Themen zu präsentieren, sind wir aufgrund unseres kleinen Teams, auf externe Partner angewiesen. Unser Haus sollte für diese offenstehen.

Improvisation und Solidarität

Zunächst galt es allerdings erstmal Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zu ergreifen. Unter der Vorgabe, alle unnötigen Kontakte zu vermeiden, wurden Pläne erstellt, wer sich wann und wo in der Einrichtung aufhält. Wer zu Hause arbeiten konnte, arbeitete zu Hause, wer noch Resturlaub hatte, nahm ihn. Glücklicherweise machte die Mehrzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kassen- und Aufsichtsbereichs davon Gebrauch, denn auf die Schnelle war es nicht so leicht zu organisieren, das plötzlich „arbeitslos“ gewordene Personal zu beschäftigen. Aber auch der Resturlaub ist irgendwann aufgebraucht. Wir nutzten aber die Zeit, uns auf die Rückkehr des Museumsbetriebes vorzubereiten. Hierbei kam uns zugute, dass wir kein reines Ausstellungshaus sind, sondern auch eine umfangreiche Forschungssammlung beherbergen. Im Sammlungsbereich gibt es immer Arbeit. Selbst große Institutionen hinken meist bei der Pflege und Digitalisierung der Sammlung hinterher, so dass in unserem Fall beschäftigungslos gewordenes Personal durchaus willkommen war. Was sich so einfach anhört, ist natürlich eine nicht ganz so einfache organisatorische Aufgabe. Das Personal muss eingewiesen und von fachkundigen Mitarbeiter*innen betreut werden. In einem kleinen Team wie unserem eine Herausforderung. Aber auch dies wurde mit großer Solidarität gemeistert.



Krise als Team- und Weiterbildung

Der Einsatz des Aufsichts- und Kassenpersonals bei der Pflege und Digitalisierung von Sammlungsobjekten hatte zudem einen weiteren positiven Effekt. Sie ermöglichte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sonst nur mit dem Ausstellungsbetrieb vertraut waren, einen authentischen Einblick in einen bisher nur aus der Ferne bekannten Arbeitsbereich und zudem ein tieferes Verständnis der Prozesse, die hinter einer naturkundlichen Forschungssammlung stehen. Diese Erfahrungen erweiterte auch die Perspektive auf die in ihrem eigentlichen Arbeitsbereich ausgestellten Objekte. Die Exponate konnten in einen größeren Kontext gestellt werden und bekamen eine neue Bedeutung. Sie waren nicht mehr nur Schauobjekte, sondern auch forschungsrelevante naturkundliche Dokumente. Eine Erfahrung, die sie nach der Wiedereröffnung im Mai an die Besucherinnen und Besucher weitergeben konnten. Zudem steigerte die in diesem Zusammenhang unerwartete coronabedingte Fortbildungs- und Teambildungsmaßnahme die Identifikation mit der Einrichtung und führte zu einer stärkeren Integration des Aufsichts- und Kassenpersonals in den Gesamtbetrieb. Das alles kam mir sehr entgegen, denn es ist mir wichtig, dass es sich herumspricht, dass wir mehr sind als ein Ausstellungshaus, und dass sich die Aufsichtskräfte vor allem als Servicepersonal und weniger als Aufpasser betrachten. Die erfahrene Erweiterung des Backgrounds verschafft den Aufsichten zudem mehr Selbstsicherheit und eine höhere Identifikation mit ihrer Aufgabe, die von den Besucherinnen und Besuchern auch wahrgenommen und geschätzt wird.

Kooperationen planen

Nach der Wiedereröffnung im Mai unter entsprechenden Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen konnte an die Besucherzahlen der Zeit vor dem Lockdown nicht mehr angeknüpft werden, schon allein wegen der Begrenzung der Menge an Personen, die sich gleichzeitig im Museum aufhalten durften. Die meisten Programme und Bildungsangebote konnten unter den bestehenden Auflagen nicht stattfinden. Vor allem aber blieben die Schulklassen aus. Die Einnahmeverluste sind erheblich. Selbst die Ausstellung eines neuen spektakulären Großexponats (das Modell eines Chalicotheriums) und die Erscheinung eines attraktiven Begleitbuches zum erdgeschichtlichen Ausstellungsbereich konnte an dieser Situation nichts ändern. In den sozialen Medien blieben wir weiterhin aktiv, doch auch hier fehlte ein bedeutendes Element, da wir unsere alljährliche Ausgrabung im rheinhessischen Eppelsheim coronabedingt nicht durchführen konnten. Wenigstens konnten wir wieder die Fäden zu unseren Kooperationspartnern aufnehmen und planen, was wir bei der Wiederkehr in die ursprüngliche Normalität zusammen angehen möchten. Aber auch diese Aktivitäten wurden dann durch den zweiten Lockdown bis auf weiteres ausgebremst. Bezogen auf die betrieblichen Maßnahmen, konnten wir wenigstens auf die während des ersten Lockdowns gemachten Erfahrungen und die organisatorischen Lösungen zurückgreifen. Wir nutzen die Zeit im Wesentlichen, um weiterhin den Sammlungsbereich zu ertüchtigen und um Sonderausstellungen und neue Ausstellungsbereiche zu planen. Wir haben auch den Mut aufgebracht, eine Sonderausstellung bei geschlossenem Museum umzusetzen. Hierzu wurde eigens ein Film gedreht in dem die Künstlerin Anja Schindler durch die von ihr konzipierte Ausstellung „Artenreich“ führt. Er wird in Kürze auf unserer Website zu sehen sein. Sobald wir wieder eröffnen können, wird sie dann auch vor Ort zu betrachten sein.

Hoffnung auf bessere Zeiten

Obwohl ich im Museumsbusiness zweifellos zu den alten Hasen gehöre, habe ich durch die pandemiebedingte Ausnahmesituation viel dazugelernt. Telefon- und Videokonferenzen sind zum Alltag geworden und lassen sich wie viele andere Techniken und Verfahrensweisen auch in einer Zeit nach der Krise sinnvoll nutzen. Von den Trägern wurde erkannt, dass mehr in die digitale Infrastruktur investiert werden muss. Eine Initiative, die ohne Krise sicher noch lange vor sich hergeschoben worden wäre. Sich neuen Herausforderungen stellen zu müssen, holt einen aus der Alltagsroutine und eröffnet somit Perspektiven, die zuvor gar nicht in Betracht gezogen wurden. Insofern hat die Krise auch ihre positiven Auswirkungen. Trotzdem könnte es langsam mal vorbei sein. Wir haben es alles satt!
Das Alleinstellungsmerkmal der Museen sind nun einmal die Originale und das Analoge. Und wir alle vermissen den direkten Kontakt mit unseren Besucherinnen und Besuchern.

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