Heute einmal eine Buchrezension von Christine Keitsch. Sie ist Leiterin des Schiffahrtmuseums der oldenburgischen Unterweser und hat – ganz klar – ein ausgesprochenes Faible für maritime Themen. Hier ihr persönlicher Buchtipp!
Die geneigte Leserschaft erwarte ein„gewaltiges Seefahrer- abenteuer und imposantes Familienepos zugleich“ heißt es im Klappentext. Und das ist eine treffende Beschreibung. „The Voyage“ oder auf deutsch „Die lange Heimfahrt“ von Philip Caputo hat es erstaunlicherweise nie wirklich auf die Bestsellerlisten gebracht. Umso überraschender, als die Geschichte zeitlos ist, spannend erzählt und packend in ihrer atmosphärischen Dichte.
Ein Sommermorgen an der Küste von Maine im Jahre 1901. Die drei noch minderjährigen Söhne der Familie Braithwaite, der älteste sechzehn, der jüngste zwölf, stehen vor den Sommerferien und erleben eine Überraschung. Der Vater, bibelfest, puritanisch, streng, übergibt ihnen den familieneigenen Schoner, die sechzehn Meter lange „Double Eagle“ und schickt sie hinaus auf See, mit der unmissverständlichen Aufforderung, sich bis zum Ende des Sommers nicht mehr blicken zu lassen. Ein Abschied, der endgültig sein wird. Nicht nur vom Vater, sondern auch von der Kindheit und der Gewissheit familiärer Geborgenheit. Ergänzt wird die kleine Crew wenige Tage später noch von einem Freund. Was sie in den folgenden Wochen erleben, wird alle für immer verändern – und einer wird nicht zurückkehren.
Noch Jahrzehnte später geben diese mirakulöse Fahrt und die nebulösen Umstände und Ereignisse im Zusammenhang damit Anlass zu vielfältigen Spekulationen in der Familie Braithwaite. Erst einer Urenkelin gelingt es, das Rätsel zu lösen und den Schleier über der Verkettung verhängnisvoller Familiengeheimnisse zu lüften.
Ein wirklich beeindruckendes Buch, auch in der deutschen Übersetzung von Wolfgang Müller noch sprachgewaltig und faszinierend in seiner subtilen Vielschichtigkeit. Vor fast genau 20 Jahren erschienen, hat „Die lange Heimfahrt“ nach wie vor das Zeug zum Klassiker. Leider ist es nur noch antiquarisch online zu erwerben. Momentan durchaus von Vorteil. Gleichfalls als positiv zu betrachten, ist der höchst erschwingliche Preis, je nach Anbieter weit unter zehn Euro.