Buchrezension: Als Reisen eine Kunst war – von Attilio Brilli

In nächster Zeit möchte ich regelmäßig unregelmäßig Bücher aus den Bereichen Kunst, Kultur, Museum – im weitesten Sinne – vorstellen. Dabei geht es mir nicht um die neuesten Werke, sondern um Bücher, die ich für wichtig halte und die mir gefallen haben.

Attilio Billi: Als Reisen eine Kunst war

Am Anfang stand die Sehnsucht nach der Ferne. Und DER Sehnsuchtsort war ab Ende des 16. Jahrhunderts Italien: „Italien ist ein schönes Land, da sorgt der liebe Gott für alles, da kann man sich im Sonnenschein auf den Rücken legen, so wachsen einem die Rosinen ins Maul, und wenn einen die Tarantel beißt, so tanzt man mit ungemeiner Gelenkigkeit, wenn man auch sonst nicht tanzen gelernt hat.“ – Nein, nach Italien, nach Italien! rief ich voller Vergnügen aus, und rannte, ohne an die verschiedenen Wege zu denken, auf der Straße fort, die mir eben vor die Füße kam.“, schrieb Joseph von Eichendorff 1826 im „Leben eines Taugenichts“.

Doch was war die „Grand Tour“, wie sie damals hieß? Es war eine Bildungsreise für Sprösslinge bürgerlicher und gehobener Schichten (in Deutschland eher bürgerlich, in England nur adelig). Attilio Brilli hat die Ergebnisse seiner langjährigen Forschungen zu englischer Reiseliteratur, Reiseführern und Reiseberichten englischer Adliger in ein lesenswertes Buch verpackt. Die im wesentlichen thematisch sortierten Zitate, bettet er ein in reisepraktische Aspekte wie Zustand von Gasthäusern, wie die Zerlegung von Kutschen für die Alpenüberquerungen, wie bürokratische Probleme mit Pässen, Gesundheitszeugnissen und Geldgutschriften, wie Nécessaires und Reiseapotheken oder wie die Reisegarderobe.

Eröffnet wird das Buch aber mit dem Thema „Kunst- uns Literaturgeschichte der Grand Tour“. Besonders schön und aufschlussreich ist das Kapitel über „Die Verführungskraft des Pittoresken“. 1772 unternimmt William Gilpin (englischer Künstler, Geistlicher, Schulleiter und Schriftsteller) eine Reise entlang des Ufers des Flusses Wye mit der Absicht, „sich nicht auf eine Untersuchung des Anblicks zu beschränken, den die Landschaft bietet, sondern die Regeln der pittoresken Schönheit zu studieren; sich nicht nur an die reine Beschreibung zu halten, sondern die Beschreibung des natürlichen Szenariums den Prinzipien der künstlichen Landschaft anzupassen.“ Mit dieser Einstellung offenbart Gilpin seine aufklärerischen Wurzeln, indem er die Natur durch den Filter des Künstlichen betrachtet und beabsichtigt, die natürlichen Landschaften nach den Maßstäben eines Gemäldes zu beurteilen.

Doch in der Realität des 17./18. Jahrhunderts war eine Reise nach Italien nicht nur „pittoresk“ sondern vor allem mühsam und gefährlich. Sie erforderte damals mindestens mehrere Monate Zeit, konnte sich sogar über Jahre ausdehnen und setzte eine gute Portion Abenteuerlust voraus. Die Fahrt mit der Postkutsche war beschwerlich, das Passieren der vielen Kleinstaaten lästig, die Mitreisenden oft unerträglich und das ganze Unternehmen noch bis ins 18. Jahrhundert nicht ungefährlich, denn die meist wohlhabenden Reisenden waren ständigen Raubüberfällen ausgesetzt. Aber am besten man liest einfach bei Brilli weiter – viel Spaß und anregende Lektüre!

Attilio Brilli: Als Reisen eine Kunst war.
Vom Beginn des modernen Tourismus: Die Grand Tour. 2224 Seiten. Broschiert, 12,90 €
ISBN 978-3-8031-2274-2


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